SDG 10

Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern.

 

§ Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes

 

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist das zentrale Regelungswerk in Deutschland zur Umsetzung von vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien, die seit dem Jahr 2000 erlassen worden sind. Am 18. August 2006 trat das AGG in Kraft. Erstmals wurde in Deutschland ein Gesetz geschaffen, das den Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität durch private Akteure (z. B. Arbeitgeber, Vermieter, Anbieter von Waren und Dienstleistungen) umfassend regelt. Seit der letzten Änderung 2012 sprechen sich viele Verbände für eine Novellierung des Gesetzes aus. Darunter fallen Reformen zur korrekten Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie, sprachlichen Präzisierung, und gesetzlichen Klarstellung der geltenden Rechtslage und Reformbedarf zur Gewährleistung eines effektiven horizontalen Rechtsschutzes gegen Diskriminierung. Insbesondere muss qualifizierten Antidiskriminierungsverbänden ein echtes Verbandsklagerecht sowie die Möglichkeit, Ansprüche von Betroffenen im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen, eingeräumt werden. Formulierungen wie § 2 Absatz 4 AGG, der Kündigungen vom AGG ausnimmt, müssen gestrichen werden. Auch die Ausnahmeregelung für Kirchen und Religionsgemeinschaften, wie sie in § 9 AGG geregelt wird, entspricht nicht den Richtlinien. Bestimmte Bereiche staatlichen Handelns, wie beispielsweise das Schul- oder Polizeiwesen und die Verwaltung, werden vom AGG nicht berührt, da diese in die Hoheit der Länder fallen. Um diese Regelungslücke zu schließen, sollten die Länder eigene Landesantidiskriminierungsgesetze, beispielsweise nach Vorbild des Landes Berlin, verabschieden. Um eine effektive Arbeit der Antidiskriminierungsstelle sicherzustellen, sollte diese außerdem unabhängig vom Ministerium sein.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

https://www.bug-ev.org/fileadmin/user_upload/AGG_Novellierung.pdf

https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Recht_und_gesetz/DasGesetz/dasGesetz_node.html

https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/AGG/agg_evaluation.html

Die Kommunen (Städte und Gemeinden) nehmen in der föderalistisch organisierten Bundesrepublik Deutschland eine Doppelstellung ein: sie verfügen einerseits über ein kommunales Selbstbestimmungsrecht und sind andererseits Teil des Verwaltungsaufbaus der Länder. Über beide Stellungen könnte eine freiwillige Aufnahme von Geflüchteten in die Kommune erfolgen, die über die Verteilung nach den momentan gültigen Schlüsseln sowie über die im Rahmen europäischer Absprachen geltenden nationalen Quoten hinausgeht. Ein neues Gesetz zur Ermöglichung einer eigenständigen Aufnahmeanordnung der Kommunen zu entwickeln, würde die Kommunen in ihrem Selbstbestimmungsrecht direkt stärken. Dadurch kann sowohl der Schutz von Geflüchteten als auch der demokratische und föderale Staatsaufbau von unten gestärkt werden. Eine ausdrückliche Zuweisung einer ausschließlichen Bundeskompetenz für die Frage der Aufnahme von Schutzsuchenden findet sich im Grundgesetz nicht.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/heuser_aufnahme.pdf

 

§ Ermöglichung einer eigenständigen Aufnahmeanordnung der Kommunen zur Aufnahme geflüchteter Menschen

 

§ Generelles kommunales Ausländerwahl-recht

 

Das Grundgesetz schließt die Teilnahme von Ausländer*innen an Wahlen sowohl auf der staatlichen als auch auf der kommunalen Ebene grundsätzlich aus. Eine Ausnahme besteht nur für EU-Bürger*innen. Das Thema betrifft Mehrheitsgesellschaft und Zuwanderergruppen gleichermaßen. Nur sechs von 335 Oberbürgermeister*innen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Das entspricht nicht mal zwei Prozent - unter ihnen ist keine einzige Frau. Für eine gerechte Teilhabe ist eine umfassende Inklusion von Ausländer*innen und Menschen mit Migrationshintergrund in Parteien und behördlichen Strukturen notwendig. Ein generelles kommunales Ausländerwahlrecht ohne Einschränkung auf die Europäische Union ist daher erforderlich.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

https://www.der-paritaetische.de/schwerpunkt/migration/forum-der-migrantinnen-und-migranten/wahlpruefsteine-2017/kommunales-wahlrecht-fuer-nicht-eu-buerger-einfuehren/

 

Erst kürzlich hat der „Bürgerrat Demokratie”, bestehend aus 160 aus den Einwohnermelderegistern ausgelosten Menschen, 22 konkrete Forderungen an Bundestagspräsident Schäuble überreicht. Darin der Vorschlag, die parlamentarische Demokratie um Bürger*innenbeteiligung und direktdemokratische Abstimmungen zu ergänzen. Das kann durch eine Kombination von gelosten Bürger*innenräten und bundesweiten Volksentscheiden erfolgen. Es sollte dazu eine unabhängige Stabsstelle für Bürger*innenbeteiligung und direkte Demokratie eingerichtet werden.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

https://www.buergerrat.de/aktuelles/umfrage-bestaetigt-mehr-beteiligung-und-direkte-demokratie-helfen-gegen-politikverdrossenheit/

 

§ Einführung von Bürger*innenräten zur Ergänzung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie

 

§ Wiedererhebung der Vermögenssteuer und Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer

 

Die hohe soziale Ungleichheit hat ihren Ursprung auch in der sinkenden Progressivität des deutschen Steuersystems. Vermögen und Spitzeneinkommen werden in Deutschland seit Jahrzehnten immer weiter begünstigt. Hier sollte über die Wiedererhebung der Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer gegengesteuert werden. Durch großzügige Freibeträge und progressive Steuersätze soll die Vermögensteuer ausschließlich Großvermögen treffen – und z.B. Eigenheime unberührt lassen. Die Erbschaftsteuer wurde bereits 2016 reformiert, ohne jedoch die viel zu großzügigen Ausnahmen für Betriebsvermögen anzugehen. Notwendig ist daher die Abschaffung dieser Ausnahmen sowie die Einführung eines lebenslangen Erbschafts-Freibetrags, der sich nicht alle zehn Jahre erneuert. Zusätzlich kann für den Fall, dass die Schuldenbremse wieder greifen sollte, über eine Vermögensabgabe für das reichste Prozent der Bevölkerung genug Steueraufkommen generiert werden, um eine Beschneidung von Sozialausgaben zum Zwecke der Schuldentilgung zu verhindern. Schließlich sollte auch die Einkommensteuer angepasst werden: Höhere Spitzensteuersätze für die drei Prozent der höchsten Einkommen können in Kombination mit höheren Grundfreibeträgen für alle Einkommensteuerzahler*innen die Progressivität erhöhen und kleine Einkommen entlasten. Über diese Steuerreformen kann die deutsche Politik die Einkommensungleichheit und die für politische und Chancengleichheit zentrale Vermögensungleichheit effektiv und rasch reduzieren.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/wp-content/uploads/2020/12/NSG_InfoSteuergerechtigkeit-Nr19_WEB.pdf

Der Staat hat die Aufgabe, die Demokratie zu schützen und zu fördern. Der Bundesrechnungshof hat in den vergangenen Jahren immer wieder angemahnt, dass eine verstetigte Förderung auf der gegenwärtigen gesetzlichen Grundlage nicht möglich ist. Gemäß des Subsidiaritätsprinzips überantwortet der Staat Demokratieförderung und Extremismusprävention zum Großteil zivilgesellschaftlichen Trägern. Seit Jahren benennen Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft strukturelle Probleme in der Förderpraxis durch Bundesprogramme. Zivilgesellschaftliche Träger und Programme können oft nicht langfristig unterstützt und abgesichert werden, es fehlt an institutioneller Förderung. Erfolgreiche Projekte müssen aufgrund der Förderstrukturen ihre Arbeit immer wieder neu ausrichten oder einstellen. Fachliche Kompetenz geht dadurch verloren und muss regelmäßig neu aufgebaut werden. Der Bund muss sich somit zuallererst selbst ermöglichen, strategisch und nachhaltig Maßnahmen zur Extremismusprävention und Demokratieförderung, zur Prävention von Antisemitismus und Rassismus und zur Stärkung von Minderheiten und Betroffenen zu ergreifen. Damit werden zentrale Merkmale der öffentlichen Fürsorge erfüllt, für die laut Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG der Bund Gesetzgebungskompetenz hat. Bereits 2013 wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, dass mehr Projekte gegen Rechtsextremismus längerfristig unterstützt und ggf. eine gesetzliche Lösung geschaffen werden muss. 2017 wurde im Koalitionsvertrag die dauerhafte Förderung vereinbart und umgesetzt. Dennoch braucht es eine gesetzliche Grundlage, um das Engagement der Zivilgesellschaft dauerhaft zu unterstützen. Ein Demokratieförderungsgesetz stellt hierfür die rechtliche Basis und bietet eine Chance, aus Erfahrungen und Evaluation vergangener Projekte eine fundierte, langfristige und regional angepasste Strategie zu gewinnen und abzusichern. Zivilgesellschaftliche Akteure müssen in Ausgestaltung des Demokratiefördergesetzes sowie in Programmgestaltung und --evaluation systematisch einbezogen werden. Die Finanzierung von Präventions- und Demokratieprojekten muss mit einem eigenen Haushaltstitel auf Dauer sichergestellt werden. Die Rolle und Arbeit der Zivilgesellschaft muss gestärkt und geschützt werden. Es braucht aufgrund der föderalen Struktur auch in den Ländern Demokratieförderungsgesetze.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/stellungnahme-zum-vorhaben-eines-demokratiefoerdergesetzes-63699/

 
 

§ Einführung eines Demokratieförderungs-gesetzes

 Das geht auch auf Bundesebene

§ Abschaffung von Ehegattensplitting in Österreich, dem Vereinigten Königreich, Schweden, den Niederlanden und Spanien

 
 

Durch das Splitting setzt der Staat Anreize für verheiratete Frauen dem Arbeitsmarkt während der Ehe fernzubleiben oder nur geringfügig zu arbeiten, da der Steuervorteil durch das Ehegattensplitting am größten ist, wenn ein/e Partner*in deutlich mehr verdient als der andere. Da Männer im Schnitt mehr verdienen als Frauen, nehmen Frauen häufiger nur eine geringfügige Beschäftigung auf oder sind nicht auf dem Arbeitsmarkt vertreten. Dies wirkt sich wiederum nach einer Scheidung und im Alter nachteilig aus. Auch Alleinerziehende oder nicht verheiratete Eltern werden durch den Entlastungsbetrag in der Steuerklasse deutlich weniger entlastet als Ehepaare mit oder ohne Kinder mit dem Ehegattensplitting entlastet werden. In Österreich, dem Vereinigten Königreich, Schweden, den Niederlande und Spanien wurde das Ehegattensplitting bereits zugunsten einer Individualsteuer abgeschafft. Frankreich und Portugal haben ein Familiensplitting eingeführt.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

 

https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-ehegattensplitting-verletzt-gleichheitsgebot-9482.htm

Nicht tragfähige Verschuldung ist eines der größten Probleme der ärmsten Länder der Welt. Entschuldungen hochdefizitärer Staaten werden bisher nicht nach einem klaren internationalen Regelwerk verhandelt. Je nach Fall wird unterschiedlich entschieden, meist nach den Regeln der Gläubiger, wie Banken, Fonds und IWF. Die Verhandlungen unterliegen keiner unabhängigen Instanz. Belgien hat 2016 ein Anti-Geierfonds-Gesetz verabschiedet, das vor allem verhindert, dass Geierfonds über Gerichtsurteile mehr Gelder abschöpfen können, als sie ursprünglich für die Anleihen am Finanzmarkt gezahlt haben. Damit wird das Geschäftsmodell unattraktiv. Bereits vor dem belgischen „Anti-Geier-Gesetz“ hat Großbritannien ein Gesetz erlassen, welches von britischen Gerichten zugesprochene Zahlungen auf diejenigen Beträge begrenzt, die der klagende Gläubiger erhalten hätte, wenn er sich an einer multilateralen Umschuldung beteiligt hätte. Bereits 2016 wurde die Möglichkeit einer ähnlichen Gesetzgebung für Deutschland im Bundestag diskutiert, es fand aber keine Einigung zur Schaffung einer deutschen Gesetzgebung statt. Auch das Europäische Parlament forderte die Mitgliedsstaaten 2018 auf eine Verordnung zu verabschieden, die sich an dem belgischen Gesetz zur Bekämpfung der Spekulation von Geierfonds auf Schulden orientiert.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

https://erlassjahr.de/news/debatte-um-anti-geier-gesetz-im-bundestag/

https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2018-0104_DE.pdf?redirect

 

 
 

§ Anti-Geier-Gesetzgebung im Vereinigten Königreich und Belgien

 

§ Wahlrecht mit Kumulieren und Panaschieren in Bayern

 

Im traditionellen Wahlrecht haben Wähler*innen eine Stimme, die sie der Partei ihrer Wahl geben.
Der Partei steht dabei das Recht zu, Kandidat*innen zu benennen und sie in einer bestimmten Rangfolge zu präsentieren. Darauf haben Wähler*innen keinen Einfluss. Die Reihenfolge, die die Partei für ihre Wahlliste beschlossen hat, entscheidet darüber, wer nach den Wahlen ins Parlament einzieht. Bei Kommunalwahlen wird in den meisten Bundesländern jedoch ein Wahlrecht angewandt, bei dem Wähler*innen mehrere Stimmen haben und diese auf verschiedene Parteien verteilen (Panaschieren) oder auch bestimmte Kandidat*innen besonders fördern können, indem sie sie mit mehreren Stimmen wählen (Kumulieren). Die Parteien haben damit zwar noch das Recht zu entscheiden, wen sie aufstellen wollen, aber die Wähler*innen können die Reihenfolge auf der Liste verändern. Die Kandidat*innen sind gezwungen, sich auch auf die Wähler*innen, nicht nur auf die Listenaufstellung innerhalb der Partei zu orientieren. Kumulieren und Panaschieren ist keineswegs eine Methode ausschließlich für Kommunalwahlen: In Bayern haben die Bürger*innen bei Landtagswahlen die Möglichkeiten, über die Präferenzstimme die Reihenfolge der Liste zu verändern. Von den europäischen Ländern mit Verhältniswahlrecht haben nur Spanien, Portugal und Deutschland beim Nationalparlament das System der starren Listen. Kumulieren und Panaschieren kann nicht nur zur Erhöhung demokratischer Einflussmöglichkeiten
durch Wähler*innen führen, sondern solchen Kandidat*innen neue Chancen geben, die durch Engagement in Bürger*inneninitiativen oder durch aktive Tätigkeit in Kommunalvertretungen positiv aufgefallen sind. Es bietet die Chance zu einer diverseren Zusammensetzung von Parlamenten, als sie sich aktuell darstellt.

Zum Weiterlesen und Weiterdiskutieren:

https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/du25-kumulieren-panaschieren.pdf
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayLWO